Der Referent und Kapitän a.D. gab seine Sicht der Geschichte der "Cap Anamur" wieder – vom Umbau im Lübecker Hafen bis zur Beschlagnahme in Porto Empedocle auf Sizilien. Auftrag der „Cap Anamur“ war ursprünglich die Versorgung und der Rücktransport von Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsländern Westafrikas in ihre Heimat und deren Versorgung mit von der (deutschen) Bevölkerung gespendeten, lebenswichtigen medizinischen Hilfsgütern.

Während der Durchfahrt durch das Mittelmeer auf dem Wege zum Suezkanal wurden dann 37 Menschen, die in einem sinkenden Schlauchboot gesichtet worden waren und zu ertrinken drohten, von der damaligen Besatzung der „Cap Anamur“ gerettet. Das war 2004.

Ziel war es damals, die Schiffbrüchigen im nächsten sicheren Hafen abzuliefern, welcher in Italien lag. Die italienischen Behörden weigerten sich jedoch, die „Cap Anamur“ in einen sicheren Hafen einlaufen zu lassen, so dass Schmidt mit 37 Flüchtlingen vor der Küste von Sizilien festsaß. Erst nachdem sich die Situation nach 11 Tagen des Wartens sowohl für die Flüchtlinge als auch die Besatzungsmitglieder dramatisch zuspitzte und der Kapitän die Sicherheit der Besatzung bedroht sah, erzwang er die Einfahrt in den Hafen.

Dort wurden er, sein erster Offizier sowie der Vorsitzende des Vereins „Cap Anamur“, Elias Bierdel, unter dem Vorwurf der „Bandenmäßigen Beihilfe zur illegalen Einreise in einem besonders schweren Fall und Gefährdung der Hafenanlagen" festgenommen und eine Woche in Haft gehalten.

Schmidt schilderte in seinem Vortrag in beeindruckender Weise, welchen Druck die damalige italienische Regierung auf die Besatzung des Schiffes und die Flüchtlinge mit Hubschraubern und Schnellbooten ausübte. „Sie wollte ein Exempel auf Kosten der Bootsflüchtlinge statuieren: Wer sich anmaßt, Flüchtlingen in Seenot zu helfen, muss mit Strafen rechnen“, so Schmidt.

Im Laufe der sich anschließenden zwei Jahre dauernden Vorermittlung wurde deutlich, dass die Angeklagten nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen hatten und kein Strafprozess folgen würde, sondern alle Indizien auf einen politisch motivierten Schauprozess hinwiesen. Am 7.Oktober 2009 war dann die abschließende Verhandlung in Italien. Sie endete mit einem Freispruch der Angeklagten.

Die gesamten Gerichtskosten beliefen sich auf circa 800.000,- Euro. Die medizinische Ladung und alle Nahrungsmittel waren verdorben und die Cap Anamur musste verkauft werden.

Heute engagiert sich Stefan Schmidt zusammen mit Elias Bierdel im Verein Borderline-Europe weiter für den Schutz der Flüchtlinge an den EU-Grenzen: Bürgerinnen und Bürger Europas sollen erfahren, was sich an den Außengrenzen der EU tatsächlich abspielt. Kapitän Schmidt verwies dabei auf die Möglichkeit, dass jeder und jede sich an der Arbeit beteiligen könne, wenn man den Mut habe, sich der Realität zu stellen.

Als Reaktion auf den Vortrag wird sich u.a. die Politikgruppe an der DHBW Stuttgart/Fakultät Sozialwesen bei ihrem nächsten Treffen am 8.7.2010 um 18:30h im Cafe Félix mit dem Thema "Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik in Europa" beschäftigen. Alle politisch interessierten Studierenden sind dazu herzlich eingeladen.