Fachforum Soziale Arbeit zum Thema Lebensweltorientierte Soziale Arbeit

Prof. Dr. Hans Thiersch

Am 3. März 2010 fand das zweite Fachforum Soziale Arbeit an der Fakultät Sozialwesen der DHBW Stuttgart statt. Nachdem Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt beim ersten Fachforum die Entwicklung der ökosozialen Theorie Sozialer Arbeit einem breiten Publikum der DHBW vorstellen konnte, folgte nun Prof. Dr. em. Hans Thiersch, um das Konzept der „Lebensweltorientierten Sozialpädagogik“ darzustellen.

Beide haben wichtige Grundlagen für eine sozialarbeiterische und sozialpädagogische Theorie- und Praxisentwicklung geleistet und können auf ein bewegtes und bewegendes berufliches Lebenswerk zurückblicken.

„Lebensweltorientierte Soziale Arbeit und deren Bedeutung in den gesellschaftlichen Konflikten der Gegenwart“ war der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Hans Thiersch. Im Rahmen seines Beitrags stellte er die wesentlichen Aspekte des Lebensweltkonzeptes vor, das mittlerweile seit 40 Jahren weiterentwickelt wird und der Profession und Disziplin Orientierung bietet. Sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch „Schwierige Balance“ berichtet über Grenzen, Gefühle und berufsbiografische Erfahrungen.

Hans Thiersch ordnete seine Ausführungen nach vier Gesichtspunkten. Ausgangspunkt, damals wie heute, sei die Erfahrung der Ambivalenz moderner gesellschaftlicher Entwicklungen. Der soziologische Befund basiert auf modernisierungstheoretischen Überlegungen der zweiten Moderne und der Ausdifferenzierung der Gesellschaft mit der Folge von Individualisierung und Pluralisierung. In der Unübersichtlichkeit moderner Verhältnisse kämen neue Lebensbewältigungsaufgaben in den Blick.

Der bundesdeutsche Sozialstaat sah bis in die 90er Jahre in der Sozialen Arbeit ein Gegengewicht zu den Exklusionsdynamiken der industriestaatlichen Entwicklung. Mit dem Umbau des Sozialstaates unter der Prämisse „fordern statt fördern“ (Agenda 2010) und Globalisierungseffekten gerät der Sozialstaat an Grenzen. Privatisierung, Ökonomisierung und Flexibilisierung treffen auch die Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit. Thiersch führte aus, dieser Prozess gehe einher mit einem Wertewandel, der sich ebenfalls auf die Soziale Arbeit „entgrenzend“ auswirke. Gleichzeitig können die Probleme beispielsweise der Angehörigenpflege oder Kinderbetreuung nicht im familialen Kontext gelöst werden, weil die lebensweltlichen Ressourcen meistens nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Frage „nach der Henne und dem Ei“ lasse sich nicht klären.

Deshalb gelte, damals wie heute: Sozialpädagogische Hilfen brauchen  rechtsstaatliche Absicherungen. Das sei jedoch keine Selbstverständlichkeit. Dafür müsse gekämpft werden, so Thiersch. Soziale Gerechtigkeit sei als Verteilungsgerechtigkeit einzufordern. „Denn Soziale Arbeit ist ein professionelles Angebot moderner Daseinssorge“.
Hilfe ist und bleibt an den Adressatinnen und Adressaten orientiert. Von hier aus müsse beurteilt werden, wie der Fall liegt, was gebraucht wird, und wie das Problem zu lösen ist. Auf dieser ethischen Basis sei das Konzept Lebensweltorientierung ein Orientierungsrahmen für professionelles Handeln. Gleichzeitig braucht sozialpädagogische Hilfe einen sozialpolitischen Auftrag und Rahmenbedingen, um Hilfe zu ermöglichen. In den gesellschaftlichen Konflikten der Gegenwart um die Aushandlung der Ressourcen gilt es das Konzept zu stärken, als Haltung zum Menschen, Haltung zur Gesellschaft, Haltung zum Leben sowie zum Beruf im Sinne einer Berufung: Mitwirkung am „gelingenderen Alltag“.

Professor Thiersch ist es souverän gelungen, beim Vortrag und während der anschließenden Diskussion, Rede und Antwort zu stehen. Er machte auf seine Weise Mut, die aktuellen Probleme aufzugreifen.

Eine zuhörende Studentin dokumentierte das Fachforum wie folgt