Rückblick 4. Fachforum Soziale Arbeit am 05.12.2011

Vortrag von Dr. Rainer Funk, Tübingen
Der entgrenzte Mensch. Wirkungen und Risiken modernen Entgrenzungsstrebens in Sozialpsychologischer Hinsicht

Dr. Rainer Funk

Es sind zwei Fragen, die Rainer Funk in der Denktradition des kritischen Sozialpsychologen Erich Fromm einander gegenüberstellte. Was lässt die moderne Gesellschaft als eine gelingende erscheinen? Und - Ist das, was diese Gesellschaft dazu produziert auch gut für den Menschen? Diese zunächst konfrontativ erscheinende Gegenüberstellung von Gesellschaft und Individuum versuchte Funk im Vortrag einander anzunähern. Die Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde als eine entgrenzte analysiert. Technischer Fortschritt ermöglicht heute, dass es in allen Lebensbereichen möglich ist, den ewigen Wunsch der Menschheit nach Überschreitung von Grenzen in die Fähigkeit zur Beseitigung von Grenzen zu überführen. Die Globalisierung, die Flexibilisierung der Arbeitswelt und die Liberalisierung der Finanzmärkte sind Ausdruck dieses Prozesses und erzwingt die Ausbildung eines neuen Charaktertyps, den entgrenzten Menschen. Entgrenzung bezieht Funk auf alle Strebungen des Menschen, Grenzen zu beseitigen. Dies hat enorme psychologische Dimensionen und Folgen für den einzelnen Menschen.

Wie kann Leben gelingen, wenn Beziehungen verflachen, wenn Gefühle ausgeblendet und manipuliert werden? Wie soll Verständigung möglich sein, wenn alles erlaubt ist und jeder Regeln aufstellen kann und wenn das vermeintliche Glück des einzelnen mehr wiegt, als das, was für ein gemeinschaftliches Leben verträglich ist? Wie kann der Mensch aus der Erfahrung, dass  technisches Vermögen den eigenen Kräften haushoch überlegen ist, zu sich selbst finden und seine produktive Orientierung erhalten? Der Mensch, so Fromm und Funk, ist anthropologisch bedingt ein Individuum, das bezogen sein muss und von körperlichen, geistigen und seelischen Grenzen bestimmt wird. Dies zu verleugnen und zu übergehen überfordert, führt zum Burnout - Symptom kann soziale Konflikte schüren und macht das familiale Leben so schwer, dass Beziehungen die Qualität eines Kontaktes bekommen. In seinen Folgen hat Soziale Arbeit, die zum Gelingen des gesellschaftlichen und individuellen Lebens beitragen will, mit den gesellschaftlichen Auswirkungen zu rechnen. Diese nicht zu individualisieren, neue Formen der produktiven Orientierung zu finden und die Aufgabe, die feinen Mechanismen der Beteiligung an der Beseitigung von Grenzen wahrzunehmen und kritisch, auch öffentlich kritisch zu reflektieren, sind Herausforderungen.