Rückblick Fachforum - „Innovationen in Sozialer Arbeit und Sozialwirtschaft erkennen, gestalten und anstoßen“

Am 18. April 2013 fand das 6. Forum Soziale Arbeit der Fakultät Sozialwesen am Stuttgarter Standort der DHBW statt. Bei lauen Frühlingstemperaturen fanden sich an diesem  Donnerstagabend ca. 50 Personen ein, um den Beiträgen zum Thema „Innovationen in Sozialer Arbeit und Sozialwirtschaft erkennen, gestalten und anstoßen“ zu lauschen. Zu Beginn begrüßten der Dekan der Fakultät Sozialwesen, Prof. Dr. Günther Rieger, und der wissenschaftliche Leiter des Masterstudiengangs, Prof. Dr. Paul-Stefan Roß, die Anwesenden und führten kurz in das Thema Innovationen in der Soziale Arbeit ein.

Der erste Vortrag des Abends wurde durch Prof. Dr. Adalbert Evers, Professor für vergleichende Gesundheits- und Sozialpolitik an der Justus-Liebig Universität Gießen, gestaltet und hatte die Überschrift „Sozialer Zusammenhalt durch soziale Innovationen?“. In seinen Ausführungen stellte Evers dabei Ergebnisse einer ländervergleichenden Studie und konzeptionelle Überlegungen dazu vor. Als innovative Projekte präsentierte Evers mehrere Stadtteilinitiativen in Berlin Kreuzberg, die quartiersbezogen mit jeweils thematischen Schwerpunkten Vernetzung und Selbsthilfe, aber auch direkte Unterstützung für sozial benachteiligte Bewohner entwickelten. Die Projekte wurden von unterschiedlichen Trägern durchgeführt, orientiert an konkret identifizierten Bedarfen der BewohnerInnen des Bezirks Kreuzberg. Dabei wurden vor Ort gezielt die Potenziale eines Sozialraums mit den Bedarfen der Menschen gekoppelt. So wurden beispielsweise Firmen eingebunden, um Jugendliche in der zielgerichteten Berufsorientierung zu unterstützen; erwerbslose Frauen wurden in Schulungen zu „Stadtteilmüttern“ qualifiziert, um niederschwellig nachbarschaftliche Beratung und Unterstützung rund um Erziehung und Familie anzubieten; ein gemeinschaftlicher Garten wurde nach dem „urban gardening“ Prinzip geschaffen, um rund um das gemeinsame Gärtnern Gemeinschaft zu leben. In der von Evers anschließend vorgestellten vergleichenden Forschung auf EU-Ebene zum Thema soziale Innovationen zeigten sich die Gemeinsamkeiten der Projekte oft darin, dass sie einen Dienstleistungscharakter aufweisen, netzwerkbildend arbeiten und oft zur Stadtteilerneuerung beitragen bzw. für Bildung von Nachbarschaftszentren sorgen. Er stellte exemplarisch weitere Kategorien vor, in denen die Wirkung sozialer Innovationen darstellbar sind (Instrumente, Ansätze und Governance). Diese wurden anschließend mit der Frage nach einer neuen Wohlfahrtkultur diskutiert. Daran knüpfte Evers mit der Frage nach der Rolle von sozialen Innovationen für sozialen Wandel und Sozialreformen an und schlug von hier den Bogen zum Thema Politik, Machtinteressen und -befugnissen. Den Abschluss bildeten Ausführungen zum Aspekt „Soziale Innovationen als Herausforderung für die Wohlfahrts-Governance“.

Nach dem Ausführungen von Herrn Prof. Dr. Evers übernahm Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt, ehemaliger Leiter der Fakultät Sozialwesen der DHBW Stuttgart, mit dem Thema „Arrangements mit den Bürgerinnen und Bürgern – Ausgang nehmen von informeller Wohlfahrtsproduktion“. Zu Beginn seines Vortrags thematisierte Wendt zunächst Grundlegendes: Den Wechsel der Perspektive von den Einrichtungen Sozialer Arbeit hin auf die Mikroebene zum Menschen als Produzenten seiner eigenen, zunächst selbstständigen und gut funktionierenden Wohlfahrt.  Diese Hinwendung zum Menschen als Teil der sozialen Infrastruktur geschieht in den Schritten „Aktivierung“, „Personalisierung“ und „Partnerschaft“. Wendt stellte die These auf: Die Selbstsorge geht vor, denn Menschen kümmern sich um ihr Wohl – für sich, füreinander und gemeinsam in einer „Governance of Welfare“. Der Mensch ist als Regulator und Steuernder seiner eignen Wohlfahrt zu sehen. Von diesem  Bild ausgehend postuliert Wendt Empowerment als Unterstützungsmechanismus, um den Menschen wieder zur Erbringung der eigenen Wohlfahrt zu befähigen. Umgesetzt im Rahmen des Case Managements, erfolgt dies in einem miteinander abgestimmten Hilfeprozess, der selbst in schwierigen und komplexen Situation mit einer Eigenregie des Menschen rechnet und arbeitet. Seine Ausführungen verdeutlichte er am Beispiel des Social Service State-Modells von W. H. Beveridge. Nach diesem Modell soll der Staat bei der Bearbeitung der fünf großen Übel (Not, Krankheit, Unwissen, Elend und Untätigkeit) mit den Angeboten mithilfe von Geldleistungen oder Dienstleistungen an die private Daseinsvorsorge anschließen – komplementär und kompensatorisch. Dies bildet sich in der Steuerung dieser Leistungen auf unterschiedlichen Ebenen ab (Mikro-, Meso-, Markoebene), wobei jeweils unterschiedliche Logiken zu finden sind. Konkret wurde in den Angeboten an der Situation der individuellen Lebensführung der Menschen angesetzt. Neben klassisch reaktiven Angeboten wurde auf präventiv zugehende Unterstützung gesetzt und neue Medien als Zugang und Mittler genutzt. Auch das Übertragen von Eigenverantwortung durch selbstverwaltete Budgets für den Einsatz von Leistungen dockt an der privaten Daseinsvorsoge an. Dadurch werden angemessene Arrangements geschaffen, in denen den belasteten und benachteiligten Menschen Handlungsspielräume ermöglicht werden. Die eigens erbrachte Initiative wird anerkannt und einbezogen. Bezug nehmend auf das Thema des Abends zeigte Wendt mit diesem Ansatz auf, wie die Entwicklung und Entstehung von Innovationen „von unten“ - im Sinne der eigenen Wohlfahrtsproduktion – ermöglicht werden kann. Hierzu gehöre grundlegend die Anerkennung der „governance of Welfare“ der Menschen und eine Förderung oder Unterstützung dieser durch Rahmenbedingungen oder Input. Diese Perspektive auf das Thema stellte Wendt abschließend zur kritischen Diskussion. Exemplarisch zeigte er ebenfalls auf, wie ein Perspektivenwechsel für konkrete Felder der Sozialen Arbeit aussehen könnte und verwies darauf, dass die Grundeinstellung gegenüber einer Welfare Governance das entscheidende sei. Für einen ganzen Systemwandel, so Wendt, seien jedoch Umstellungen politischer, sozialwirtschaftlicher und sozialprofessioneller Natur nötig.

Im Nachgang zu den Ausführungen von Prof. Dr. Evers und Prof. Dr. Wendt waren die Anwesenden herzlich eingeladen über das Gehörte zu diskutieren und Fragen zu stellen - jedoch nicht bevor Evers und Wendt selbst miteinander über ihre Ansätze und Themen diskutierten und diese vergleichend  gegenüberstellten.

Es war ein spannendes Fachforum mit sowohl hochtheoretischen Ausführungen wie auch sehr praxisorientierten Darstellungen zum Thema soziale Innovationen. Die Veranstaltung gab den Anwesenden einen differenzierten Input für Ideen und Ansätze innovativer Projekte, aber auch die Möglichkeit, andere Perspektiven und Haltungen einzunehmen sowie sich kritisch mit Strukturen und Rahmenbedingungen sozialer Innovationen auseinander zu setzen.